Als internationaler Projektentwickler mit aktiven Großprojekten in Deutschland, darunter eine 100-MWp-Photovoltaikanlage, halten wir die Frage "Wie viel von Deutschlands Energie ist erneuerbar" für eine der wichtigsten im globalen Energiedialog. Die deutsche Energiewende ist ein zentrales Fallbeispiel für eine schnelle, groß angelegte Dekarbonisierung.
Um diese Frage mit der erforderlichen technischen Präzision zu beantworten, müssen wir zunächst eine kritische Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Messgrößen treffen:
1. Elektrizitätserzeugung: Dies bezieht sich nur auf den Strom, der für die Stromversorgung des Netzes produziert wird.
2. Gesamter Endenergieverbrauch (TFEC): Hierbei handelt es sich um eine wesentlich umfassendere Kennzahl, die den gesamten Energieverbrauch einschließt, einschließlich der schwer zu dekarbonisierenden Sektoren Heizung (für Gebäude und Industrie) und Verkehr (für Fahrzeuge und Logistik).
Im Jahr 2023 werden erstmals mehr als die Hälfte (ca. 52 %) der Bruttostromerzeugung in Deutschland aus erneuerbaren Energien stammen.
Die Kerndaten: Deutschlands Meilenstein für erneuerbaren Strom
Der von offiziellen Stellen wie der Bundesnetzagentur genannte Meilenstein 2023 ist das direkte Ergebnis jahrzehntelanger konsequenter Politik und Investitionen. Angesichts der geopolitischen und technischen Herausforderungen der letzten Jahre, darunter der endgültige Ausstieg aus der Kernenergie im April 2023, ist dieser Erfolg umso bedeutender.
Die Tatsache, dass Deutschland seine verbleibenden Kernkraftwerke erfolgreich stilllegen und gleichzeitig einen Anteil von mehr als 50 % an erneuerbaren Energien erreichen konnte, zeigt die schiere Größe und technische Reife seiner neuen Energieinfrastruktur.
Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in Deutschland ist nicht monolithisch. Es handelt sich um ein Portfolio, das von Wind und Sonne dominiert wird, wobei die Bioenergie eine wichtige stabilisierende Rolle spielt.
Die Windenergie ist mit großem Abstand das unbestrittene Rückgrat der Energiewende in Deutschland. Dazu gehört eine massive, gut etablierte Onshore-Windindustrie in den nördlichen Ebenen und ein hochtechnologischer, expandierender Offshore-Windsektor in der Nord- und Ostsee. Die hohe Leistung der Windenergie, insbesondere im Winter, macht sie zum wichtigsten Arbeitspferd der erneuerbaren Energien.
Die zweite Säule ist die Photovoltaik, ein Sektor, in dem wir aktiv Großprojekte entwickeln. Der Ausbau der Solarenergie in Deutschland ist bemerkenswert. Er wird sowohl von Großkraftwerken als auch von einer extrem hohen Zahl von Aufdachanlagen für Privathaushalte und Unternehmen vorangetrieben. Das Profil der Solarstromerzeugung, das im Sommer am höchsten ist, stellt ein wichtiges Gegengewicht zum windreichen Winter dar und trägt zur Stabilisierung der Energieerzeugung während des ganzen Jahres bei.
Bioenergie (aus Biomasse, Biogas und Biomethan) ist die drittgrößte erneuerbare Energiequelle und wird oft von Enthusiasten übersehen. Aus unserer technischen Sicht ist ihr Wert immens, denn sie liefert abschaltbare oder planbare Grundlaststromerzeugung. Anders als Wind- oder Solarkraftwerke können Biomassekraftwerke bei Bedarf betrieben werden und sorgen so für kritische Netzstabilität. Die Wasserkraft spielt eine ähnliche Rolle, ist aber geografisch auf den Süden beschränkt und bietet wenig Raum für einen weiteren Ausbau.
Die große Herausforderung: Elektrizität vs. Gesamtenergieverbrauch
Ein "halbwegs erfahrener Enthusiast" wird zu Recht feststellen, dass die Energielandschaft in Deutschland insgesamt anders aussieht. Während der Stromsektor eine Erfolgsgeschichte ist, ist der Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Endenergieverbrauch (TFEC) viel geringer und liegt bei 20-22%.
Diese Diskrepanz ist die entscheidende Herausforderung für die nächste Phase der Energiewende. Der Grund für die niedrigere Zahl ist die anhaltende Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen in zwei Schlüsselbereichen:
1. der Wärmesektor: Ein Großteil der Wärme für Gebäude und Industrie wird nach wie vor mit Erdgas und Erdöl erzeugt.
2.der Verkehrssektor: Dieser wird nach wie vor überwiegend von Erdölprodukten beherrscht.
Aus unserer Expertenperspektive als Entwickler liegen genau hier die Technologien der nächsten Generation. Viele davon gehören zu unserer Kernkompetenz, sie werden technisch notwendig. Die Dekarbonisierung dieser Sektoren erfordert fortschrittliche Lösungen wie Wärmespeicherung im Versorgungsmaßstab, grünen Wasserstoff für industrielle Prozesse und E-Methanol für nachhaltige Schifffahrt und Transport.
Unser Expertenfazit
Um die Frage direkt zu beantworten: Im Jahr 2023 werden mehr als 52 % des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien erzeugt. Dies ist ein bahnbrechender Erfolg, angeführt von Wind- und Solarenergie, und beweist, dass eine große industrielle Wirtschaft mit erneuerbaren Energien betrieben werden kann.
Der Anteil am Gesamtenergieverbrauch ist jedoch geringer (etwa 20-22 %), was die nächste Phase der Energiewende definiert. Als auf dem deutschen Markt tätige Projektentwickler betrachten wir die Energiewende als ein technisch robustes und erfolgreiches Modell, das sich nun anschickt, die letzten, äußerst komplexen Herausforderungen in den Bereichen Wärme und Verkehr zu lösen.
Ressourcen
Bundesnetzagentur (BNetzA): https://www.bundesnetzagentur.deFraunhoferInstitut für Solare Energiesysteme (ISE): https://www.ise.fraunhofer.deCleanEnergy Wire (CLEW): https://www.cleanenergywire.orgIEA(Internationale Energieagentur) - Deutschland: https://www.iea.org/countries/germany